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AutorenbildKlaus Pfeiffer

Platons Idee des Bildes und die Fotografie

Aktualisiert: 7. Feb. 2023


"Der Fotograf schaut durch seine Kamera in einer ganz anderen Weise, wie zum Beispiel jemand, der durch ein gewöhnliches Fernrohr schaut; selbst wenn der Fotograf ein langes Teleobjektiv verwendet, das als Fernrohr taugen würde. Der Unterschied ist, dass der Fotograf sich nicht bloß eine Sache anschaut. Er blickt zwar auch durch die Kamera wie durch ein Fernrohr auf ein Objekt, aber darüber hinaus reflektiert er stets gleichzeitig über die Weise, wie das Objekt in der Kamera ihm als ein Gegenwärtiges erscheint –" (Vilém Flusser)


Überall wird fotografiert, die Flut der Bilder spült durchs Internet, in und um die sozialen Netzwerke. Was macht das mit uns? Bestimmen uns die Bilder oder wir sie?

Wie lässt sich die Grenze bestimmen zwischen Bild, etwa dem fotografischen Bild, und unserer Wahrnehmung? Zweifellos ist unsere Wahrnehmung der Welt gleichzeitig unsere Konstruktion der Welt. Somit steht dem fotografischen Bild unser Welt-Bild gegenüber. "Gegenüber stehen" setzt einen "Übergang" bzw. Übergänge voraus, dessen Stufen aus Wahrnehmung, Welt-Bild und Bild gemacht sind.

Vor über 2500 Jahren prägt der Philosoph Platon in seinem berühmten Höhlengleichnis einen Bildbegriff, der aktueller denn je ist. Platon entwirft ein vielschichtiges, metaphorisches "Bild" über die menschliche Wahrnehmung, die Erkenntnisprozesse und Erkenntnishindernisse. In seinem Gleichnis sind die Menschen in einer dunklen Höhle so an Händen und Füßen gefesselt, dass sie, wie an Marterpfählen angebunden, ihre Blicke ausschließlich geradeaus richten können. Dabei sehen sie auf eine vor ihnen verlaufende Wand, auf dieser Wand sehen sie verschiedene Schatten in verschiedenen Bewegungen. Die Ursache der Schattenspiele sehen sie nicht, sie können aufgrund ihrer durch die Fesseln eingeschränkten Haltung nicht sehen, dass hinter ihnen Gegenstände vorbeigetragen werden und dass sich hinter diesen ein Feuer befindet, das wie ein Scheinwerfer die Gegenstände anstrahlt, so dass sie zu den Ursachen für die Schatten an der Wand werden. Die Wirklichkeit wird in diesem Gleichnis zur Scheinwelt und die Scheinwelt zur Wirklichkeit. Platon sagt ausdrücklich, dass die Gefesselten in der Höhle wir selber sind.

Die Geschichte endet hier nicht, Platon erzählt weiter, dass es einem der Höhlenbewohner gelingt, sich zu befreien und die Höhle zu verlassen. Nachdem er es geschafft hat, seine Fesseln zu lösen, findet er einen Weg nach oben, einen Weg hin zum Tageslicht, zum Licht der Sonne. Auf seinem Weg entschlüsselt er das Geheimnis der Schatten und oben angekommen, außerhalb der Höhle, sieht er, nachdem er seine erste Blendung durch das gleißende Sonnenlicht überwunden hat, die Gegenstände im hellen Licht der Wahrheit.

Schließlich endet die Geschichte damit, dass der Geflüchtete mit seinen Erfahrungen, seinem Wissen, seinen Erkenntnissen in die Höhle zurückkehrt und den dort immer noch Gefesselten versucht zu erklären, dass sie in einer Welt der Illusionen und vorgegaukelten Wahrheiten leben. Es gelingt ihm am Ende nicht, die anderen von der Wahrheit zu überzeugen, im Gegenteil, die Gefangenen widersetzen sich mit allen Mitteln, drohen sogar ihn zu töten.


In vorderster Linie am Spülsaum der Bilder steht der Fotograf. Was passiert, wenn er versucht, sich mit seiner Bildmaschine dem Strom zu widersetzen? Wenn er zum Chronisten seiner selbst wird? Was passiert, wenn er versucht, Platons Höhle zu verlassen so wie es einer in Platons Gleichnis getan hat und sich zum Licht bewegt oder gar die Licht-Bild-Maschine suizidal gegen sich selbst richtet?

​Platons "Höhlengleichnis", zu Beginn des 7. Buches der Politeia, gilt als einer meist kommentierten, meist interpretierten Texte der Philosophie, ca. 400 v. Chr. entstanden.


Hinter der wahrnehmbaren sichtbaren Welt sieht Platon ein unsichtbares Reich der Ideen. Den Zugang dazu finden wir allein mit der Vernunft. Platon sieht die noetische Welt als das wahre Sein. Die sichtbare, sinnlich erfahrbare Welt fügt sich zusammen aus Abbildern der Ideen. Im Höhlengleichnis macht Platon die Abbilder der Welt zu Schatten, zu Phantomen einer verschlossenen Wirklichkeit.


Die Fotografie sucht seit ihren Anfängen nach Höhlenausgängen, sucht die Wirklichkeit mit Hilfe wachsender technischer Möglichkeiten abzubilden. In Platons Sinne scheitern die Reproduktionsversuche an der unüberwindbaren Wand zwischen Sein und Schein. Die wahrnehmbare Welt versteht Platon in einem ständigen Veränderungsprozess, die Welt der Ideen ist dagegen von beständiger Unveränderlichkeit – das Sichtbare ist flüchtig und zerfließt in unseren Händen, vor unseren Augen, die Gründe des Sichtbaren jedoch sind fest, bleiben aber im Verborgenen. Die Fotografie ist nicht nur ein Kampf gegen die Windmühlen der Wirklichkeit mit technischen Mitteln. Sie ist auch ein Verlassen unserer gewohnten Wahrnehmungsmuster um zu verstehen, was denn nun die Wirklichkeit hinter unseren wahrgenommenen Erscheinungen sei. Fotografie ist ein Weg aus dem Vertrauten, Bequemen ins Unbekannte – Unsicherheit und Angst gehören dazu. Der entfesselte Höhlenbewohner richten seine ersten Blicke in das Licht der Erkenntnis und es kommt zur Blendung (Unverständnis). Der weitere Aufstieg aus der Höhle erhält seine Motivation und seinen Optimismus durch ein weiteres Geheimnis, das Platon in seinem Gleichnis lüftet: Erkennen ist eigentlich Wiedererkennen. Das Auge des Fotografen enthält dieses Geheimnis: die Suche nach einer Welt hinter der Welt umschreibt den Geist, den Fotografie transportiert.


Exkurs 1

Hildegard von Bingen (1100 - 1178)


"Ich weiss, dass ich ein Mensch bin,

wiewohl von meiner Kindheit an eingeschlossen."

Hildegard von Bingen, Briefe


"Das Licht aber, das ich schaue, ist nicht örtlich, sondern weit und weit heller als die Wolke, die die Sonne trägt. Und nicht vermag ich Tiefe noch Länge noch Breite darin zu erblicken. Und genannt wird es mir der Schatten des lebendigen Lichts."

Hildegard spielt mit dem Gegensatz von Licht und Schatten und expliziert ein scheinbares Paradoxon, indem sie das wahrnehmbare, sichtbare Licht als Schatten bezeichnet. Verständlich wird Hildegards Text, wenn wir "Schatten", im Sinne Platons, durch "Abbild" ersetzen. "... und genannt wird es mir das Abbild des lebendigen Lichts." Das "lebendige Licht" ist in Hildegards Welt das Licht Gottes, das, analog zu Platons Ideen, Grund und Ursprung hinter der sinnlich wahrnehmbaren Welt ist.

Terminologisch und inhaltlich verweist Hildegard von Bingen auf Platons Höhlengleichnis. Die Metapher des lebenslangen Gefängnisses ("von meiner Kindheit an eigeschlossen") und der Verweis auf eine Welt hinter der sichtbaren belegen dies.

Interessant ist, dass Hildegard dem Licht eine andere Metaphorik zuweist als Erkenntnis, Wissen, Aufklärung. Sie reiht das Licht ein in alle anderen Abbilder von Urbildern, wobei sich das urbildliche Licht durch "Lebendigkeit" auszeichnet und damit im Gegensatz steht zum eingeschlossenen Leben wie in einem Gefängnis.







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