Über_Sehen
Günther Anders Der Blick vom Turm (1932)
Als Frau Glü von dem höchsten Aussichtsturm aus in die Tiefe hinabblickte, da tauchte unten auf der Straße, einem winzigen Spielzeug gleich, aber an der Farbe seines Mantels unzweideutig erkennbar, ihr Sohn auf; und in der nächsten Sekunde war dieses Spielzeug von einem gleichfalls spielzeugartigen Lastwagen überfahren und ausgelöscht – aber das Ganze war doch nur eben die Sache eines unwirklichen kurzen Augenblickes gewesen, und was da stattgefunden hatte, das hatte doch nur zwischen Spielzeugen stattgefunden. „Ich geh nicht hinunter!“ schrie sie, sich dagegen sträubend, die Stufen hinabgeleitet zu werden, „ich geh nicht hinunter! Unten wäre ich verzweifelt!“
Die Arbeit »Der Blick vom Turm« gibt ein künstlerisches Statement zu der gleichnamigen Fabel von Günther Anders aus dem Jahre 1932.
Heute - 90 Jahre später - gleicht der Blick auf das Display unseres Smartphones dem Blick vom Turm.
„‚Der Blick vom Turm’ ist eine Fabel, die einfach sagt: Aus einer bestimmten Distanz sind noch die grauenhaftesten Dinge erträglich. Oder umgekehrt: Wenn wir etwas Grauenhaftes nicht wahrnehmen wollen, können wir uns auf eine Distanz dazu begeben. So lange wir uns suggerieren können, wir haben es nur mit Bildern des Unheils zu tun, können wir uns einigermaßen beruhigen. Unmittelbar mit dem Unheil konfrontiert, würden wir – wie die Fabel endet – verzweifelt sein.“ (Konrad Paul Lissmann)