"Nicht eine Vorstellung realisieren, sondern eine Realität vorstellen, das ist: Fotografie."
Gottfried Jäger, Fotoästhetik, zur Theorie der Fotografie, 1991, S. 13
Meine erste Kamera schenkten mir meine Eltern 1967 zur Konfirmation, eine AGFA CLICK 1.
Meine erste Fotografie:
Das fotografische Bild ist unvollständig
Der Fotograf zückt die Kamera, mit seinem Blick durch den Sucher oder auf das Display werden vor dem Auslösen grundlegende Entscheidungen der Bildkomposition getroffen, schnelle Schnappschüsse ausgenommen. Der geschulte Fotograf achtet bei der Bildkomposition auf die Ränder und Ecken von Sucher oder Display. Ist alles drauf? Ragt möglicherweise etwas ins Bild, was da nicht hingehört? Eventuell muss alles wiederholt werden, bis das Foto das Motiv zur Zufriedenheit des Fotografen widerspiegelt.
Letztlich ist die Entscheidung für gerade dieses Bild die Entscheidung für einen Ausschnitt aus der Wirklichkeit. Die Entscheidung für das, was im Bild gezeigt werden soll, bedeutet gleichzeitig ein Weglassen, das fotografische Bild ist unvollständig. Das Foto zeigt zum Beispiel einen Sonnengang am Meer. Bei der Betrachtung des Bildes entscheidet die Intensität der Erinnerung an den erlebten Augenblick oder vergleichbare Momente darüber, wie gelungen das Bild eingestuft wird. Schnell wird das Abgebildete mit der Wirklichkeit in Einklang gebracht, so dass Abbildung und Wirklichkeit übereinzustimmen scheinen, ein Trugschluss. Während die Wirklichkeit in ständiger Bewegung des Werdens einem Fluss gleicht, beginnt das Bild seine eigene Geschichte, in der Raum und Zeit in eine statische Gegenwart überführt wird.
"Das im Bild Dargestellte ist herausgehoben aus dem Kausalverkehr der Dinge und überführt in eine nichtdynamische Existenz, welches die Bildexistenz schlechthin ist – ein Existenzmodus, der weder mit dem des abgebildeten Dings noch mit dem der abgebildeten Wirklichkeit zu verwechseln ist."
(Hans Jonas, Homo pictor, 1994, 274)
Fotografie und Langsamkeit
Die technischen Werkzeuge zur Herstellung von Fotografien unterliegen seit ihrer Entstehung im 19. Jahrhundert einer rasanten Entwicklung. Dabei ist ein eindeutiger Trend sichtbar.
Der Prozess des Fotografierens wird einfacher und schneller, die Bildqualität passt sich der rauscharmen, brillante Oberfläche der digitalen Medien an. In Bruchteilen einer Sekunde entstehen die allermeisten Fotografien. Das Abgebildete als Teil eines organischen Prozesses zeigt sich in dem gleichen kurzen Zeitintervall, fixiert von dem Apparat. Das trifft nicht nur auf die Smartphones zu, sondern auch auf komplexe professionelle Kameras, die vollautomatische Bedienungen ohne große Fachkenntnisse bereitstellen. Fotoapparate erledigen ihre Aufgaben nahezu ohne unser Zutun.
Die Kondensation von Zeit im fotografischen Bild korrespondiert mehr und mehr mit der Form der Betrachtung in den sozialen Netzwerken. Der schnelle Klick und der schnelle Blick verschmelzen zu einer Geste. Ebenso verhält es sich bei der Jurierung von Fotos in diversen Wettbewerben. Der entscheidende Blick der Auswahl des besten Bildes vollzieht sich annähernd in der gleichen Geschwindigkeit wie der Schuss des Fotografen.
Meine Fotografien versuchen sich davon zu lösen, sie sind der Langsamkeit verpflichtet, das schnelle Bild entzieht sich meinem Interesse. Langsame Fotografie bedeutet eine Verweigerung des fotografischen Mainstreams.
"Je echter die Fotofarben werden, desto lügnerischer sind sie, desto mehr vertuschen sie ihre theoretische Herkunft." ( Willem Flusser)
Dunkelheit und Stille – Auf der Suche nach dem leeren Raum
"Die Kamera wird zum Werkzeug die eigene Seele zu schützen.
Dieses Phänomen ist seltsam, eine Art Therapie, ein Umweg." Walter Schels
Die Bewegung des Lichts
Das Licht folgt Bewegungsmustern.
Tag und Nacht, die Jahreszeiten sind Bewegungen des natürlichen Lichts. Natürliches Licht hat lebensspendende und heilenden Kraft, das Licht der Welt, das Licht der Erkenntnis.
Das künstliche Licht ist das prometheische, unsere Faszination des Lichts.
Abbildungsverhältnisse
Fotografie bildet Wirklichkeit ab. Inwieweit lässt sich die fotografierte Wirklichkeit abbilden?
We travel against the time!
"A strong sense of composition, form, and geometry also carry an emotional impact!"
“Overhead the albatross hangs motionless upon the air And deep beneath the rolling waves in labyrinths of coral caves The echo of a distant tide ...”
Pink Floyd, Echoes
Gibt es ein visuelles Echo? Wie wird unser Sehen reflektiert? Kann man den visuellen Widerhall an unseren Horizonten sichtbar machen?
Im Mythos misstraut der selbstverliebte Jüngling Narziss der erkennenden Kraft der Wiederholung und lässt das Echo in Gestalt einer Nymphe elend sterben. Doch am Ende verwandelt sie sich in ein verführerisches Bild und erlangt so Ewigkeit. Der Spiegel ist das Medium des visuellen Echos, Wände sind uns Projektions- und Illusionsräume - Echos.
Was passiert mit der Bedeutung der Bilder bzw. mit der Bildaussage, wenn die technischen Bedingungen der Übertragung und der Produktion der Bilder entlarvt werden?
Über Bildgestaltung
Objekte in der Wirklichkeit erfahren durch den Bildausschnitt des Suchers bzw. Monitors eine perspektivisch neu organisierte Form, die zwischen einer unverkennbaren Nähe und einer extremen Verfremdung gegenüber den Gegebenheiten nachkonstruierender Blicke erscheint. Bei diesem Bilder erschaffenden Produktionsprozess werden den vorgefundenen Gegebenheiten Gesetze zugefügt, ästhetische Kompositionsregeln, die nach verschiedenen Mustern Harmonien inszenieren. Die Wirklichkeit gilt als Grundlage, als Material oder Baukasten für eine fotografische Neukonstruktion.
Das Ziel der fotografischen Prozedur ist die Präsentation einer fotografischen Hypothese, eines Standpunktes mit den Mitteln der Fotografie.
Wo ist das Geheimnis?
Hinter dem Sinn! Standpunkt der Unsicherheit!
Was ich im Sucher sehe, und später auf oder in dem Bild, ist Schönheit. Fotografie ist ein Weg die Schönheit zu sehen hinter dem Angsterzeugenden, dem Unnahbaren, dem Verbotenen, dem Abgründigen. Das gilt sowohl für den Blick in die Höhen und Tiefen der Architektur und Landschaft als auch für das Porträtieren. Eine Unerträglichkeit, eine Unmöglichkeit des Blickkontakts überwindet der Blick durch den Sucher.
Bilder - Texte - Bilder
„Die eigentliche Revolution der digitalen Fotografie setzte mit dem Multifunktionsgerät Smart- phone ein. Der Apparat fotografiert und filmt nicht nur, er ist das entscheidende Werkzeug für die Kommunikation.“
Ulrich Hägele, Fotogeschichte 158/ 2020
Bilder und Texte verfolgen ihre eigenen Kommunikationsstrategien, mit dem Smartphone verwischen die Grenzen zwischen Bild und Text.
In der Geschichte der menschlichen Kommunikation nehmen die Bilder zweifellos die erste Stelle ein, ich denke beispielsweise an die Höhlenmalereien aus prähistorischer Zeit, weit älter als 20000 Jahre. Die ersten Schriften, zum Beispiel Hieroglyphen, erscheinen nach heutigem Forschungsstand nicht älter als etwa 5000 Jahre zu sein. Obwohl im Hinblick auf die Entstehungszeiten und Datierungen von Bildern und Texten noch Unklarheiten herrschen, ist davon auszugehen, dass es vor den Schriftzeichen eine sehr große Zeitspanne von textfreier Bildsprache gab.
Auf den Veröffentlichungsplattformen der digitalen Bilder, zum Beispiel Instagram, verschwinden die Texte mehr und mehr hinter den Bildern.
Vermutlich haben in der Menschheitsgeschichte die Texte die Bilder überholt und nun scheint sich dieses Verhältnis umzukehren bzw. umgekehrt zu haben. Interessant ist, dass Bilder anders kommunizieren als Schriftzeichen. Dabei ist eine Art Zwischenstufe von Bedeutung, die Zeit der Piktogramme. Ähnlich wie Landkarten waren sie überregional versteh- und lesbar.
In den heutigen Kommunikationsformen auf den Plattformen der sozialen Medien nehmen neben den Bildern wieder Piktogramme eine exponierte Rolle innerhalb der Kommunikation ein. In der Menschheitsgeschichte sind Piktogramme unmittelbar verständlich, erzählen keine Geschichte, sind aber kontextabhängig. Auch hierin besteht eine Ähnlichkeit zu den Emojs heute.
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